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JW_Vortrag 03314_Mk 12, 1-12 Weinbergpächter_4 Seiten

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DIE LAGE DER DINGE . VORTRAG AM 14. März 03

Mk 12,1-12

- Es gibt biblische Texte, die etwas Bedrückendes an sich haben, wenn man nur nach dem äußeren Sinn der Erzählung fragt. Diese Allegorie gehört dazu. Andererseits bezieht sich die Aussage des Gleichnisses auf eine konkrete Lebenssituation aus dem Alltag der damaligen Zeit. Dabei kommt es auf einen Akzent an, der mit dem Verständnis dessen, was unsere Lage in der Welt ist, zusammenhängt. Übertragen wir das Geschilderte in die Gegenwart, dann kann man die Geschichte noch anders erzählen, ohne ihren Sinn zu verfälschen. Man braucht nur das Beispiel zu wechseln. Pachten kann man z. B. auch einen Betrieb oder einen Grund. Es geht darum, daß Pächter den ihnen nicht zustehenden Ertrag nicht abgeben wollen. Deshalb begehen sie Verbrechen, indem sie sich aneignen, was ihnen nicht gehört und diejenigen ermorden, die es ihnen verwehren! Damit befinden wir uns im Leben unserer Zeit. Das kommt dauernd vor.
 
- Die Welt ist so. Wir leben in ihr, gehen mit ihr um, aber sie gehört uns nicht! Sie ist wie ein wunderbarer Garten, den die Menschen der Moderne mehr und mehr verwüsten und zerstören. Die "Frucht", die er bringen soll, verweigern wir, indem wir die Dinge so behandeln als gehörten sie uns. Es scheint so als gäbe es keinen Grund für Achtsamkeit und Rücksicht. Nach uns die Sintflut! Morgen sind wir tot; darum laßt uns essen und trinken. So ähnlich lauten die Sätze jenes Religionsersatzes, der tödlich ist. Mit den Folgen solcher Gesinnung haben wir es heute vielfach zu tun.
 
- Es wird also im Gleichnis ein ziemlich negatives Bild der Welt und der Menschen gezeichnet. Damit sind wir beim kontemplativen Aspekt der Geschichte angelangt. Es gilt etwas zu erkennen, was nicht gleich sichtbar ist, aber doch wahr! Die Folgen einer Gesinnung beweisen es. Nun kann man sagen, in der Stilleübung sollen Geist, Wille und Sinne zur Ruhe kommen; warum sich also solche Gedanken über die konkrete Welt machen? Einfach deswegen jedoch ist das in Betracht zu ziehen, weil man nicht auf Dauer in der Stille bleiben kann, sondern stets auf den Markt des Lebens zurückkehren muß - immer wieder! Die innere Stille hat ihre Entsprechung in der Bewegung und dem Ablauf der äußeren Welt. Wir können nicht auf Dauer in der Abkehr von der sichtbaren Welt der Erscheinungen leben. Also gilt es zu verstehen, worauf es im Leben ankommt. Das kann Anlaß sein, um in die Stille zu gehen, solche Aspekte wie einen Impuls aufzunehmen und zu sehen, was sich aus dem Inneren heraus für die konkrete Lebenslage einstellt.
 
- Mir ist wichtig, zu zeigen, wie bestimmte sinndeutende Motive immer wiederkehren. Das Thema ist keineswegs auf das Neue Testament begrenzt, sondern hat seine Entsprechung in vielfältigen Lebensweisheiten. Dem Empfangen muß stets ein Geben folgen. Nicht der Egoismus eines gierigen Gottes ist das Thema, sondern das Verlassen einer vorgefundenen Ordnung des Daseins, die Lebensgier bestimmter Verantwortlicher, und die damit zusammenhängenden Folgen.
 
- Die Ausgangsstelle für diese Geschichte ist eine Parallele aus dem Alten Testament, Jesaja 5, 1 ff. In diesem Gleichnis wird das Thema in dem Sinne verwendet, daß nicht der Weinberg, sondern die Pächter den Besitzer enttäuschen. Nicht der Weinberg verweigert die Ernte, sondern die Bauern erfüllen die Erwartungen nicht, indem sie den Ertrag, der ihnen nicht gehört, nicht abliefern. Daran orientiert sich Jesus mit seinem Gleichnis. Der Weinbergbesitzer ist Gott, der die Ermordung seines Sohnes an den verantwortlichen Leuten seines Volkes rächen wird; nicht aber am ganzen Volk! Von allgemeiner Vergeltung ist nirgends die Rede! Das Thema ist allein der Aufstand der Hohenpriester gegen Gott, indem sie den Sohn Gottes töten. Für die Zuhörer damals war das eine provozierende Aussage. Jesus aber hat dabei kaum politisch, aber sehr religiös gedacht.
 
- Damit befinden wir uns wieder in einer kontemplativen Sinngebung der Allegorie. Denn die politischen Aspekte werden in der Regel an Programmen und an Ideologien gemessen. Das taten die extremen Kräfte zur Zeit Jesu auch. Für den Menschen aber, der aus der Stille lebt, ist das, was geschieht, Maßstab für sein eigenes Wachsen und Reifen durch Erkenntnis! Nicht die Welt wird geändert, sondern der Mystiker ändert sich in der Welt! Durch Einsicht aber verlieren "bösen" Energien ihre Macht über den Menschen und schließlich ihre Bedeutung. Der bewußte Mensch handelt nicht mehr im Gegensatz zu etwas, das böse ist, sondern er handelt gemäß der inneren Ordnung der Dinge. Damit ist er durchaus politisch, aber nicht in einem ideologischen Sinn, sondern in der Weise der Einsicht, zu tun, was nötig ist. Da er die Welt sieht, wie sie ist, kann er aufnehmen, was ihm als Aufgabe daraus erwächst. Sein Maßstab ist die Liebe, die aber keineswegs sein Handeln schwächt. Denn er lebt aus der Kraft der Stille heraus, aus der Verbindung mit Gott, um es religiös zu sagen.
 
- Das Gleichnis Jesu ist Anklage und Trost zugleich. Es ist das typische Prophetenschicksal geschildert: Boten Gottes werden berufen, abgewiesen, ausgestoßen und ermordet. Wie oft wurden aus bestimmten politischen oder materiellen Motiven heraus schon Morde begangen. Wir sind Zeugen solcher Verbrechen geworden. Dieser Tatsache steht man erschüttert gegenüber und muß nach dem Sinn und nach dem fragen, was daraus erwächst. Das ist ein Anlaß zur Betrachtung aus der Stille. Denn der äußere Sinn schreit nach Rache. Der innere Sinn lautet anders, mahnt zur Erkenntnis, was als Frucht dessen entsteht oder bereits entstanden ist! Muß also jede Erkenntnis erst durch Leid erkauft werden? Muß der Einsicht Zerstörung, Tod und Mord vorausgehen? Welch ein Bild des Menschlichen entsteht hier! Die Frage lasse ich offen. Sicher aber ist, wie das Gleichnis sagt, dies nur der äußere Aspekt, nicht das letzte Wort Gottes.
 
- Was haben wir Heutigen von solchen Dramen in der Welt und in der Geschichte begriffen? Was haben wir Wesentliches an unserem Verhalten geändert? Die gegenwärtige Weltlage beweist, wie sehr wir unter dieser Tragik stehen. Wieviel Irrungen gibt es, wieviel Mißverständnisse, Ideologien und Verdammung! Wie gehen wir mit dem Wort um, das uns auf unsere Seelenregungen verweist? Im religiösen Wahn fundamentalistischer Überzeugungen geht man kriegerisch gegen den Andersdenkenden vor. Blut fließt - aus frommer Überzeugung und aus egoistischen Tendenzen heraus. Archaisches kehrt wieder.
 
- Kehren wir noch einmal mehr zum Innerseelischen zurück. Die Seele des Menschen ist der Weinberg Gottes, der reifen soll, der Frucht bringen soll. Das braucht Zeit. Das ist anstrengend, oft schmerzhaft und ein Weg voller Enttäuschungen, voller Illusionen und Niederlagen. Aber es ist auch ein Weg höheren Bewußtseins, der Einsicht und des Friedens. Unsere Reden sollten sanft und liebevoll sein. Aber wie leicht wirken ganz andere Kräfte in uns, wenn wir nicht offen sind für das, was gegen unsere Überzeugung gerichtet ist. Unsere Augen sollten hell und klar sein! Wie oft jedoch schauen Menschen den Mitmenschen finster und abweisend an! Warmherzigkeit und Hingabe sollten zur Vollendung helfen. Oft aber sind Verbissenheit und Selbstbezogenheit viel dominanten als guter Wille. Wie die Weinstöcke sollten wir miteinander reifen und wachsen, uns gegenseitig weiterhelfen. Leider sehen Menschen sich als Rivalen, als Konkurrenten, gar als Feinde an. Was macht es nur so schwierig, so zu leben, wie es eigentlich unsere Aufgabe ist?
 
- Die Antriebe, die uns nach Macht, nach Geltung, nach Gewalt rufen lassen, sind subtil, fein gesponnen, sind oft argumentativ verbrämt, klingen mitunter zwingend logisch. Deswegen sollte jeder Mensch im Leben in irgendeiner Weise zu sich selbst finden können, damit er dem nicht erliegt, was als dunkle Triebnatur, neben allem Guten, in seiner Seele wirkt! Oft sind diese Motive, die das Denken und Handeln bestimmen, wie ein Geflecht aus Lüge und Intrige. Kein Mensch ist frei davon. Kaschiert wird dieses Muster immer wieder mit dem Begriff "Verantwortung". Vor allem im politischen Horizont - nicht nur zur Zeit der Hohenpriester im Umfeld Jesu - sind solche Tarnungen der mörderischen Antriebe der Brauch. Selbst die sprachlich dafür verwendete Logik kann moralisch klingen, ist es aber in Wahrheit nicht. Deswegen wieder kommt es darauf an, zu sich zu finden und sich Rechenschaft über die Inhalte seines eigenen Bewußtseins zu geben. Denn das ist der Maßstab, der für einen selbst gilt, an
gesichts der Lage der Dinge. Da ist Änderung möglich. Darin ist jeder frei. Sicher wird der Mensch in der Stille gewandelt - aber eben durch Einsicht und Erkenntnis dessen, was ist, wie es unveränderlich ist!
 
- Wir verstehen vielleicht so den Ansatz des Gleichnisses besser: Menschen bekommen etwas "anvertraut". Es gehört ihnen nicht, aber sie sollen die Verantwortung dafür übernehmen. Sie sind verantwortlich! Wir alle sind gemeint! Jeder trägt für sich und sein Tun eigene Verantwortung. Niemand kann sich ausschließen. Das muß jeder selbst bewußt "wahrnehmen". Man kann es ihm sagen, aber aufnehmen kann er es nur mit seinem Herzen.
 
- Verfälschungen treten immer dann auf, wenn man nicht sich selbst, sondern den andern in seinem Tun, Denken und Reden verantworten will: "Du darfst nicht so sein, wie du bist, sondern du mußt anders sein!" "Du mußt so oder so handeln, dann ist es richtig" usw. Es ist eine Grenzüberschreitung vollzogen, wenn es sich so verhält. Auf diese Weise werden aus Pächtern fremder Dinge kurzerhand Eigentümer fremden Lebens. Wie kann unter solchen Gegebenheiten der Weinberg, sprich "Seele", reifen? Wir merken, wie lebensnah doch diese Schilderung Jesu ist. Man darf sie nicht ideologisch einengen und die Vergangenheit begrenzen.
 
- Das Maß an geringem Willen, das zu so irrigem Denken und Handeln gehört, ist erschütternd. Dieses scheinbar normale Verhalten der Menschen zerstört im Grunde all das von Gott Angebotene. Alle Hoffnungen und Erwartungen enden in einer Katastrophe. Diese schlimme Lage können wir heute erkennen, zu einem Zeitpunkt, an dem die Welt wieder zum Kriege zurückkehrt, den man längst als Mittel der Politik überwunden glaubte. Wunder gibt es unter diesem Blickwinkel nicht mehr. Das Besondere geht verloren. Alles erstarrt in formalen Regeln und in Vorschriften. Der Mensch nimmt die Sache selbst in die Hand, da nach seiner Meinung Gott nicht so handelt, wie er handeln müßte. Das Ewige jedoch, was man zu "besitzen" glaubt, ist in Wahrheit tot, wenn man mit ihm so verfährt. Ihr Denken und Handeln wendet sich gegen die Täter selbst. Das alles ist auf dem Grund der menschlichen Seele vorhanden und immer noch wirksam
 
- Niemand soll sich zum Herren über andere aufschwingen, sondern sollte deren Diener sein. "Wir sind nicht Herren über eueren Glauben, sondern Gehilfen euerer Freude", schreibt Paulus. Man kann mitunter wissen, daß alles stimmt, was gesagt wird, aber gerade deswegen muß der sterben, der es sagt. Das ist eine schlimme paradoxe Tatsache in der Welt - nicht nur in diesem Gleichnis. Die Wahrheit des "Ecksteins", von dem die Rede ist, gilt nicht angesichts scheinbarer "Realität". Man kann das Wort GOTTES wie ein Gesetz im Munde führen und gleichzeitig alles mit dieser Wahrheit totschlagen. Das Innere wird total veräußert. Nichts bleibt dann von dem, was aus der Stille wächst, übrig. In dieser Lage befinden wir uns gegenwärtig auch. Es muß nicht einmal eine böse Absicht dabei sein; es genügt Verblendung dafür oder eine fromme Ideologie. Diese Muster gehören vor allem zu einem bestimmten Typus Mensch, der obendrein noch sehr erfolgreich sein kann und trotzdem das Wesentliche verkennt, schuldig wird und unter diesen Umständen niemals zu sich selbst findet!
 
- Das Gleichnis Jesu schließt - trotz allem - mit einem positiven Bekenntnis: Der Tod ist, auch wenn es anders zu sein scheint, zuletzt nicht entscheidend für das menschliche Schicksal. Es gibt eine bestimmte Freiheit der Menschen gegenüber der Macht. Es gibt Leben aus dem Geiste Gottes, das dem Zynismus und der Lüge entgegensteht. Vor allem aber gibt es die Liebe, die das unzerstörbare Wesen Gottes ist, das nicht anders ist, weil Menschen dagegen verstoßen. Wenn einmal die Zeit vergangen ist, wenn die Geschichte an ihr Ziel gekommen ist, wenn der Blick untrüglich alles Seiende erschließt, dann wird das Wahre bleiben, sich erweisen, allgemein erkennbar machen, worauf das Sein gegründet ist und was das Bleibende ist.
 
- So wird dieses Gleichnis zum zeitlosen Beispiel für die Lage der Welt. Es ist sinndeutend für den Verlauf der Geschichte, eine Aufforderung, sorgsam auf die eigene Lage zu achten. Das Gleichnis ist aber auch eine Ermutigung nicht zu verzweifeln, wenn die Sache, mit der man befaßt ist, zu mißraten droht. Denn das Bleibende ist unantastbar, unabhängig vom Tun der Menschen. Menschen vergehen, Reiche vergehen, Welten ändern sich, aber die Liebe Gottes, die immer wieder neu beginnt, ändert sich nie. Mit diesem Wissen kann jeder leben.


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